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Das Foucaultsche Pendel


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Umberto Eco




Kommentar



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Das "Pendel" war der zweite Roman von Umberto Eco und alle, die den "Namen der Rose" gelesen hatten, warteten gespannt auf sein Erscheinen. Für viele war es etwas enttäuschend, keine Fortsetzung der Mönchs-/ Kloster-/Mittelalter-Atmosphäre vorzufinden. Auch schreckten Kommentare von Kritikern, die den Stempel "Gelehrtenroman" prägten und zwar nicht negativ urteilten, doch durchblicken ließen, daß das Buch nicht ganz so einfach zu lesen sei.

Nun, ich gestehe, daß auch ich nach den ersten beiden Seiten das Fremdwörterbuch neben mich legte, um nicht soviel laufen zu müssen, aber zur Beruhigung sei gesagt, daß man nach dem Ablegen der ersten Vorurteile von der Geschichte doch so gefesselt wird, daß man das Nachschlagen auf später verschiebt oder sich selber die entsprechenden Zusammenhänge zu bilden vermag.

Die Atmosphäre, die wir so geliebt hatten, wird durch eine spannende Beschreibung der esoterischen Kulte ersetzt, der jüdischen Kabbala, Alchimie, Okkultisten, Rosenkreuzer oder Templer, und nicht zuletzt der Suche und dem Aufspüren der "Herren der Welt". Das alles wird in gewohnt geschmeidiger Sprache dargeboten, mal locker historisch, dann philosophisch, geheimnisvoll und zwischendurch dürfen wir auch teilhaben am intelligenten Humor des Professors.

Die 10 Kapitel tragen die Namen der 10 Sefiroth, eine der grundlegenden Theorien der Kabbala, eine Darstellung, die man als verschiedene Ebenen der Offenbarung Gottes ansehen kann, und man benutzt sie zur Deutung des Lebens, des Weltenaufbaues, der inneren Harmonie und zig anderer mystischer Betrachtungen.

Wenn man mag, kann man die Inhalte zum klassischen Dreieraufbau der Sefiroth in Beziehung bringen - und bei Eco ist bekanntlich *nichts* zufällig.
Ein wenig verwirrend ist die zeitliche Abfolge des Geschehens. Eco beginnt seinen Roman kurz vor dem Ende der Geschichte, blendet zurück zu den Ereignissen, die wenige Tage zuvor zu dieser Situation geführt haben, entsinnt sich früherer Ereignisse und findet schließlich zum eigentlichen Beginn seiner Geschichte.

Da endlich sah ich das Pendel.
Die Kugel, frei schwebend am Ende eines langen metallischen Fadens,
der hoch in der Wölbung des Chores befestigt war, beschrieb ihre
weiten, konstanten Schwingungen mit majestätischer Isochronie.
Ich wußte - doch jeder hätte es spüren müssen im Zauber dieses
ruhigen Atems -, daß die Periode geregelt wurde durch das Verhältnis
der Quadratwurzel aus der Länge des Fadens zu jener Zahl Pi, die,
irrational für die irdischen Geister, in göttlicher Ratio unweigerlich
den Umfang mit dem Durchmesser eines jeden möglichen Kreises verbindet,
dergestalt, daß die Zeit dieses Schweifens einer Kugel von einem Pol zum
anderen das Ergebnis einer geheimen Verschwörung der zeitlosesten aller
Maße war - der Einheit des Aufhängepunktes, der Zweiheit einer abstrakten
Dimension, der Dreizahl von Pi, des geheimen Vierecks der Wurzel und die
Perfektion des Kreises.


Das echte Pendel

[...]
Die kupferne Kugel emanierte schwach schimmernde Reflexe im Schein der
letzten Sonnenstrahlen, die durch die Kirchenfenster eindrangen. Hätte
sie, wie einst, mit ihrer Spitze eine Schicht feuchten Sandes auf dem
Boden des Chores gestreift, so hätte sie bei jeder Schwingung eine
dünne Furche in den Boden gegraben, und die Furche hätte, jedesmal
um ein winziges Stück ihre Richtung ändernd, sich immer mehr in Form
einer Bresche, eines Tales erweitert, um eine strahlenförmige Symmetrie
erraten zu lassen - wie das Skelett eines Mandala, die unsichtbare
Struktur eines Drudenfußes, ein Stern, eine mystische Rose. nein, eher
wie ein Spurengewirr, verzeichnet im Sand einer weiten Wüste, von un-
zähligen umherirrenden Karawanen. Eine Geschichte langsamer, tausend-
jähriger Wanderungen - so mochten die Atlantiden des Kontinentes Mu
sich bewegt haben, in beharrlichen und besitzergreifenden Streifzügen,
von Tasmanien nach Grönland, vom Steinbock zum Krebs, von der Prince-
Edward-Insel bis nach Spitzbergen. Die Spitze der Kugel wiederholte,
erzählte von neuem in einer sehr knappen Kurzfassung, was sie getan
hatten von der einen zur anderen Eiszeit, und was sie vielleicht immer
noch taten, nun als Kuriere der Herren - ja, vielleicht berührte sie
gar auf dem Wege zwischen Samoa und Nowja Semlja, in ihrer Gleichge-
wichtsposition, das Land Agarttha, die Mitte der Welt. Und ich fühlte:
ein einziger Plan verband das hyperboreische Avalon mit der australischen
Wüste, die das Rätsel von Ayers Rock birgt.


PendelDies ist der Anfang des Buches, und während des Schreibens ist mir deutlich geworden, wieviele Hinweise auf den nachfolgenden Inhalt gegeben werden. Es geht, knapp zusammengefaßt, um das "Geheime Wissen", die esoterischen Wissenschaften, die Alchimie, die Kabbala, die Numerologie, die ungezählten Legenden und Mutmaßungen über den Templerorden, die Freimaurer, Spinner, souveräne Genies, - und - die Vereinigung aller Kenntnisse, gleich dem Zusammensetzen eines Puzzles zur endgültigen Wahrheit.

Dazu nehme man drei Lektoren eines italienischen Verlages, Dr. Jacopo Belbo, den philosophierenden, sarkastischen, von Selbstvorwürfen gequälten Piemonteser, Diotallevi, einen "trockenen" Typ, einst Findelkind, der der festen Überzeugung ist, jüdischer Abstammung zu sein, und seine Freizeit dem Studium jüdischer Geheimlehren widmet, und Dr. Casaubon, am Anfang der Story Student, der gerade seine Dissertation über den Templerorden schreibt. Casaubon ist der Erzähler, er berichtet die Geschehnisse in "ich"-Form. Die beiden anderen trifft er in einer der typischen Studentenkneipen und man gerät in ein Gespräch über die Templer, zu denen Casaubon detaillierte Informationen zu liefern weiß, für den Leser sowohl lehrreich, wie höchst amüsant präsentiert.

Aufgrund seiner Kenntnisse wird er zu einem Autorengespräch eingeladen, in dem ein gewisser Oberst Ardenti Beweismaterial über den Verbleib der Templer erläutert, eine chiffrierte Botschaft vorweist und kurz später auf mysteriöse Weise verschwindet.

Jahre später trifft man sich wieder und Casaubon erhält eine Anstellung bei dem gleichen Verlag. Der Esoterik-Markt boomt und während Belbo und Diotallevi das angebotene Material sichten, faßt man aus Spaß, aus intellektuellem Jux, den Plan, der "Wahrheit" auf den Grund zu gehen. Alle drei besitzen ein umfangreiches Allgemeinwissen und finden schnell Querverbindungen zwischen den einzelnen okkultischen Ideen, mögen sie noch so verquer sein. Casaubon, der sich selbst ironisch einen Sam Spade der Informationsbeschaffung nennt, gelingt es, abenteuerliche Interpretationen zu kreieren und zu erhärten. Als Grundlage dient die erwähnte Inschrift des Oberst und die darin enthaltenen verschlüsselten Anweisungen an die weiterhin im verborgenen arbeitenden Templer, welche bis in die heutige Zeit reichen. Nun, letztendlich gelingt es ihnen auch, eine "großen Plan" zu rekonstruieren, zu einem hohen Preis...

Eigentlich ist das der Inhalt in Kurzform. Schwierig wird das Verständnis beim ersten Lesen durch häufige Rückblenden, verschachtelte Erinnerungen, mal Casaubons eigene, mal Gedanken Belbos, der ein elektronisches Tagebuch hinterlassen hat. Die 750 Seiten sind dennoch nicht mit "Füllstoff" entstanden, sondern bieten auf logisch erscheinende Weise Einblicke in die Welt der praktizierenden Esoteriker. Mal durch einen Brasilienaufenthalt Casaubons, mal durch eine Vorlesung Diotallevis, durch Gönner, Autoren, zufällige Bekanntschaften, wie eine gewissen Aglié, von dem ich bis heute noch nicht weiß, ob er wirklich der unsterbliche Graf von St Germain war... und alle tragen ihre kleinen Puzzlestücke aus den diversen Fakultäten des "Geheimen Wissens" bei.

Auf Anhieb fallen mir jetzt mindestens zwanzig Beispiele ein, die zu lesen und zu zitieren mir eine Lust wäre, aber ich möchte sie auch nicht aus dem Zusammenhang reißen. Wer Sprache in exzellenter Form genießt, der möge mir in dieser Beziehung einfach vertrauen.

Stattdessen zitiere ich zum Schluß noch ein anderes Stückchen, speziell für die online-Gemeinde hier. Ich glaube, ich habe nirgendwo anders eine derart poetische Beschreibung einer Textverarbeitung gelesen.

Belbo hat sich einen PC angeschafft, einen Mac, wenn ich es richtig in Erinnerung habe und ihn auf den Namen "Abulafia" getauft. Logisch, gehört dieser doch zu den bedeutendsten spanischen Kabbalisten...
Nachdem Belbo unter mysteriösen Umständen in Paris festgehalten wird, erforscht Casaubon das Gerät in Belbos Wohnung und findet unter anderem dieses File:

Filename: Abu

Oh, welch klarer spätherbstlicher Morgen Ende November,
im Anfang war das Wort, singe mir Muse den Zorn des
Peliden, habe nun ach, die Frauen die Ritter die Waffen die
Lieben, in alten Maereri wunders viel geseit. Punkt und
Absatz geht von allein. Probieren geht über Studieren,
parakalò parakalò, mit dem richtigen Programm machst du
auch Anagramme, und angenommen, du hast einen gan-
zen Roman geschrieben über einen Südstaatler namens
Rhett Buttler und ein launisches Mädchen mit Namen Scar-
lett, und dann tut's dir leid, dann brauchst du bloß einen
Befehl zu geben, und Abu verwandelt dir alle Rhett Butlers
in Fürsten Andrej und alle Scarletts in Nataschas, Atlanta
wird Moskau, und du hast Krieg und Frieden geschrieben.
Jetzt wollen wir mal sehen, was Abu für Sachen machen
kann. Ich schreibe diesen Satz, gebe Abu den Befehl, alle "a"
mit "akschuf" und alle "e" mit "üftal" zu ersetzen, und
herauskommt etwas quasi fast Türkisches.
Jüftaltzt wollüftaln wir makschufl süftalhüftaln, wak-
schufs Akschufbu für Sakschufchüftaln makschufchüftaln
kakschufnn: ich schrüftalibüftal diüftalsüftaln Sakschuftz,
güftalbüftal Akschufbu sodakschufnn düftaln Büftalfüftalhl,
akschufllüftal "akschuf" mit "akschufkschuf" und akschufl-
lüftal "üftal" mit "üftaksqhufl" zu üftalrsüftaltzüftaln, und
hüftalrakschufuskommt üftaltwakschufs quakschufsi fak-
schufst Türkischüftals.
O Freude, schöner Götterfunken, o Schwindel der Diffe-
rence, o mein idealer Leser/Schreiber, affected by an ideal
insomnia, o Finnegans Wache, o anmutiges und holdes Tier.
Der Computer hilft einem nicht denken, aber er hilft einem,
für ihn denken. Total spirituelle Maschine. Wenn man mit
dem Gänsekiel schreibt, zerkratzt man das feuchte Papier
und muß dauernd die Feder ins Tintenfaß tunken, die
Gedanken überlagern sich, und die Hand kommt nicht
nach, wenn man mit der Klappermaschine schreibt, verha-
ken sich die Typen, man kann nicht im Tempo der eignen
Synapsen schreiben, nur im plumpen Rhythmus der Me-
chanik. Hier dagegen, mit ihm (ihr?) phantasieren die Finger,
der Geist streift die Tastatur, die Gedanken fliegen auf
goldenen Schwingen, endlich meditiert die strenge Kriti-
sche Vernunft über das Glück des ersten Anhiebs
. Un sie hmal wasich jetz mache, ich nehem diesn bolck
vn ortogrfhischen Tetralogien und b fehle dr maschien, ihn
zu codiffernzieren und in irrem geDachtnis z speiechern,
und dannsoll sies wider Rausholen aus Irhen~ innnern und
auf dem Minitor rproduzieren, las Strofe für irhe Sünnden.
Eben habe ich einfach blind drauflosgetippt, und jetzt
habe ich diesen Block von orthographischen Teratologien
genommen und der Maschine befohlen, ihre Fehler als
Strafe für ihre Sünden zu wiederholen, aber diesmal habe
ich sie korrigiert, und so ist es schließlich lesbar geworden,
perfekt, aus Spreu habe ich reinen Weizen gewonnen.
Ich hätte auch bereuen und den ersten BIock löschen
können: ich lasse ihn hier nur stehen, um zu demonstrieren,
wie auf diesem Monitor Sein und Seinsollen, Zufall und
Notwendigkeit koexistieren können. ....

 


Das Foucaultsche Pendel erscheint im VerlagCarl Hanser
ISBN 3-446-15395-0




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