Kommentar
Natürlich kann man dieses Buch nehmen und lesen, wie jeden
anderen Roman auch.
Man kann es aber auch nach historischen Gesichtspunkten, nach semiotischen
und nach kriminalistischen Kriterien lesen.
Das macht es so genial und so faszinierend!
Der gleichnamige Film ist kein Ersatz für die Lektüre! Diesem
gebührt die Ehre, die Atmosphäre des Umfeldes, die Charactere,
die Bauten wirklich blendend dargestellt zu haben. Vom Wesen des Buches
erzählt er leider nichts - und dem Leser wird nach der Lektüre
klar sein, warum dies nicht cineastisch umsetzbar ist.
Wie gesagt, wer nie davon gehört hat, mag es als spannende Detektivgeschichte
verstehen und verschlingen. "Nimm dieses Buch und iß
es..." Noch interessanter ist es, wenn man ein wenig über
den Autor weiß. Umberto Eco ist Professor für Semiotik an
der Universität Bologna. Semiotik ist die Wissenschaft von der
"Zeichenhaftigkeit der Welt". Ein Wort, wie es hier steht,
ist nur eine schwarz-weiße Zeichnung, die als Ersatz für
einen ausgesprochenen Laut dient. Dieser wiederum ist ein Zeichen z.B.
für einen Gegenstand, den wir uns vorzustellen vermögen.
Zeichen lösen in Menschen bestimmte Bilder aus, aber viele Zeichen
sind nur in einem geschlossenen Kulturkreis der jeweiligen Zeit einheitlich.
So kann sich jeder beim Wort "McDonalds" einen bestimmten
Schnellimbiß vorstellen, Leonardo da Vinci würde ziemlich
ratlos vor diesem Begriff stehen. Umgekehrt verstehen wir heute nicht
mehr die Zeichen der mittelalterlichen Kirchenfresken. Für die
damalige Bevölkerung stand jedes Detail für eine bestimmte
Aussage. Auch auf diesem Gebiet ist Eco natürlich bewandert und
liefert nebenbei eine Fülle an Informationen zur mittelalterlichen
Zeichenhaftigkeit.
Jeder, der Fachliteratur liest, hat die Erfahrung gemacht, daß
Bücher nicht nur ihren eigenen Inhalt erzählen, sondern auch
den anderer Bücher. Wenn man drei bis vier Bücher zu einem
Thema durchackert, so wird man feststellen, daß die neueren sich
auf die Aussagen der älteren stützen. Bücher "reden"
mit anderen Büchern, wie Eco es an einer Stelle poetisch ausdrückt:
"...Ich muß
darüber nachdenken. Vielleicht muß ich erst
noch
andere Bücher lesen."
"Wie das? Um zu erfahren, was ein Buch enthält,
müßt Ihr andere
Bücher lesen?"
"Manchmal ist das ganz nützlich. Oft sprechen
die Bücher von
anderen Büchern. Oft ist ein harmloses Buch wie ein
Samenkorn,
das in einem gefährlichen Buch aufkeimt, oder es ist
umgekehrt
die süße Frucht einer bitteren Wurzel. Könntest
du nicht zum
Beispiel erfahren, was Thomas gedacht hat, wenn du Albertus
liest? Oder aus den Schriften des Thomas erraten, was Averroes
lehrte?"
"Ja, das ist wahr", sagte ich bewundernd. Bisher
hatte ich immer
gedacht, die Bücher sprächen nur von den menschlichen
oder
göttlichen Dingen, die sich außerhalb der Bücher
befinden. Nun ging
mir plötzlich auf, daß die Bücher nicht
selten von anderen Büchern
sprechen, ja, daß es mitunter so ist, als sprächen
sie miteinander.
Und im Licht dieser neuen Erkenntnis erschien mir die Bibliothek
noch unheimlicher. War sie womöglich der Ort eines
langen und
säkularen Gewispers, eines unhörbaren Dialogs
zwischen Pergament
und Pergament? Also etwas Lebendiges, ein Raum voller Kräfte,
die
durch keinen menschlichen Geist gezähmt werden können,
ein Schatzhaus
voller Geheimnisse, die aus zahllosen Hirnen entsprungen
sind und
weiterleben nach dem Tod ihrer Erzeuger? Oder diese fortdauern
lassen in sich?
... |
Diesen Effekt benutzt Eco bewußt, indem er einen Großteil
seines Textes anderen Quellen entlehnt, aber so geschickt, daß
sie nahtlos in seine Geschichte passen. Zu diesem Thema gibt es Sekundärliteratur
und wer sich dafür interessiert, besorge sich (nachher!!!):
Klaus Ickert/Ursula
Schick
Das Geheimnis der Rose entschlüsselt
Heyne ISBN 3-453-02461-3
(Nicht mehr lieferbar -
eventuell bei www.justbooks.de suchen)
Nun zum Inhalt :
Die Handlung spielt in Italien, Anno 1327
Es ist eine Art Tagebuch, das der Autor "Adson van Melk"
an seinem Lebensende nachholt:
...
Dem Ende meines sündigen Lebens nahe, ergraut wie
die Welt und
in Erwartung, mich bald zu verlieren im endlosen formlosen
teilhabend schon am
immerwährenden Licht der himmlische Klarheit, zurückgehalten
nur noch von meinem schweren und siechen Körper in
dieser Zelle
meines geliebten Klosters zu Melk, hebe ich nunmehr an,
diesem
Pergament die denkwürdige und entsetzlichen Ereignisse
anzuvertrauen,
deren Zeuge zu werden mir in meiner Jugend einst widerfuhr.
... |
Adson ist zum Zeitpunkt der Geschichte
ein blutjunger Benediktinermönch, ein Novize, der infolge eines
ungeplant langen Italienaufenthaltes in die Obhut eines Franziskaners
gegeben wird.
Dieser, William von Baskerville, nimmt ihn mit auf eine diplomatische
Mission, von der später die Rede sein wird. Zwischen den beiden
entwickelt sich ein effizientes Schüler/Lehrer - Verhältnis,
Adson naiv und bisher wohlbehütet, dennoch aufnahmebereit und
lernwillig - auf der anderen Seite William, ein frommer, aber recht
progressiver Vertreter seines Standes, der mit allen Wassern der Rhetorik
gewaschen ist, und eine ziemlich pragmatische Einstellung zum Leben
und zur Religion hat. Der Leser schwankt in seiner Identifikation zwischen
den beiden. Als Adson lernt er die auch ihm unbekannte mittelalterliche
Anschauung der Welt kennen, als William versteht er genau, welche Zukunftsaussichten
dieser clevere Mönch sieht.
Williams ursächliche Aufgabe ist
es, ein Treffen zwischen Franziskanern und Vertretern des schlitzohrigen
Papstes Johannes zu organisieren. In einem Vorgespräch sollen
dort die Möglichkeiten geprüft werden, wie das Verlangen
der Franziskaner nach "Armut" mit dem Streben des Papstes
nach "Luxus" vereinigt werden können. (Der Knackpunkt
sublimiert sich in der Frage "Hat Jesus eine Geldbörse gehabt
oder nicht") William als Moderator hält eine wirklich köstliche
Rede zu diesem Anlaß, die eines Top-Satire-Ops würdig wäre.
Leider, und zum Glück für den Leser, ist es nicht so einfach,
dieses Treffen durchzuführen. Die Abtei, die zu diesem Zwecke
ausgesucht wurde, ist berühmt sowohl wegen ihrer Neutralität,
als auch wegen ihrer legendären Bibliothek, die in einem alten
Turm, dem Aedificium, untergebracht ist. Kurz vor dem Eintreffen Adsons
und Williams fand der erste einer Reihe von Morden statt, die an den
Grundfesten der religiösen Gemeinde rüttelt. William, dem
Abt als ehemaliger Inquisitor bekannt, wird beauftragt, den Fall zu
lösen. Dieser hat allerdings seine sehr eigene Art, an die Sache
heranzugehen, und je mehr ihm untersagt wird, in die Bibliothek einzudringen,
die nur dem amtierenden Bibliothekar zugänglich ist, umso neugieriger
und wissensdurstiger beginnt er, ihre Geheimnisse zu erforschen...
Es wimmelt geradezu von Geheimgängen, Labyrinthen, geheimnisvollen
Schriften, aber wir lernen auch, den Wert eines Buches in der damaligen
Zeit kennen. (Nebenbei: Das Labyrinth der Filmfassung ist naiv gegenüber
der ausgeklügelten Idee Ecos)
Wie ein roter Faden zieht sich die Apokalypse des Johannes durch die
Handlung. Gleichsam beschworen und ersehnt, lauert der Antichrist mal
in diesem Mönch, mal in jenem Buch und letztendlich ist der ganze
Roman eine kleine apokalyptische Geschichte...
Der
Name der Rose ist auch als Audiobook
erhältlich.
Der
Soundtrack von James Horner ist sehr hörenswert, auch ohne den Film zu kennen...
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Der Name der Rose erscheint im Verlag Carl Hanser
Der Film "Der Name der Rose" bei Neue Constantin, München
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