Requiem
für eine musikalische Legende
Musik ist eine der angenehmeren Errungenschaften, die das Leben hervorgebracht
hat.
Als Fred Feuersteins Großvater das Grollen der Vulkane und den finalen
Angriffsschrei des Brontosauriers hörte, konnte er nicht erahnen, zu welch
künstlerischen Höhen Leute wie Bach, Beethoven und Liberace die Fähigkeit,
komplizierte Luftschwingungen zu erzeugen, treiben würden.
Wahren Größen dieses Businness wird mit nahezu religiösem Kult
gefrönt.
Auf der einen Seite sehen wir die Hahdschi-ähnliche Pilgerfahrt des Geldadels
in ein verschlafenes Bayerische Kaff, um sich die chirurgisch strammgezogenen
Ohrmuscheln mit Blechbläsern durchpusten zu lassen, auf der anderen sehen
wir kreischende Gören, die kollektiv in Bewußtlosigkeit sinken,
wenn spätpubertierende Schulabbrecher in zu weiten Hosen ihre hyperaktive
Phase öffentlich ausleben.
Die Wahrheit - und die wirklich religiöse Verehrung - liegt diesmal in
der Mitte. Schon in den 70ern war ein Auftritt der Gruppe "Pink Floyd"
weniger ein Rock-Konzert mit biersaufenden und pöbelnden Gangs, denn
ein Hochamt, eine feierlich zelebrierte Messe. Weihrauch allenthalben (oder
zumindest etwas ähnlich riechendes), wallende Nebel, eine ehrfürchtige
Gemeinde, die in stiller Andacht und manchmal mit geschlossenen Augen die Luftschwingungen
in sich aufnimmt, die von den hinter Wolken verborgenen Göttern auf dem
Olymp der Bühnen mit himmlischen Instrumenten erzeugt werden.
In den folgenden Jahren steigerten sich die zeremoniellen Feierlicheiten in
unnachahmliche Höhen. Bewegte Bilder auf einer riesigen Hostie, fliegende
Betten (sagte ER nicht auch "steh auf, nimm dein Bett und geh!"?)
, schwebende Schweine, Lichtstrahlen, heller als die Sonne, akustische Tabernakel
von der Größe eines Zehnfamilienhauses, ausgerüstet mit der
Phonstärke einer in eine Wellblechfabrik stürzenden Concorde, Baßreflexlautsprecher,
die meßbare Veränderungen am St Andreas-Graben hervorriefen und
Lichteffekte, die das Seti@home-Projekt im Grunde überflüssig machten,
denn jede mit optischen Sensoren ausgestatte Spezies im All wäre längst
hier aufgetaucht, um sich über die Störung der Nachtruhe zu beklagen.
Mit zunehmendem Alter wurden die Hochämter seltener.
Die Götter wurden älter und gesetzter, genauso wie die Zuschauer.
Bei der letzten Tournee war das Erscheinungsbild des Publikums im Müngersdorfer
Stadion nicht unähnlich einem evangelischen Kirchentag mit seiner Mischung
aus milchgesichtigen Jünglingen, bulimischen Emanzen, nachgemachten Blumenkindern
und deren betagten, demonstrative Toleranz ausstrahlenden Eltern.
Doch die Glaubensgemeinde besteht immer noch. Der Glaube, der sie zusammenhält,
besteht in der Hoffnung auf den nächsten Auftritt IHRE Wiederkunft.
Die Auferstehung der Halbtoten.
Genauso erstrebenswert wie das Paradies.
Genauso anzweifelbar.
Genauso unerreichbar.
Glaubenssache eben...
Wie im richigen Leben wird die Lehre sogar von einem richtigen Schisma heimgesucht:
nach dem Fortgang von Roger Waters teilten sich die Anhänger in Fundamentalisten
und Gemäßigte, die jedoch zu ökumenischen Gottesdiensten fähig
sind.
Die Gläubigen finden sich in newsgroups und in mailinglisten, um die hinterlassenen
Relikte anzubeten. Zum Millionsten Male werden die Alben geschüttelt,
die Songs gewendet und gedreht und von oben und von unten betrachtet, miteinander
in Zusammenhang gebracht, in zeitlichen Folgen geordnet, nach Kombinationen
sortiert, schließlich wird jeder Satz, jedes Wort, übersetzt, gewogen,
interpretiert, als sei es die heilige Tora deren Lettern man nur oft genug
permutieren muß, um die ursprüngliche Botschaft Gottes zu erhalten.
Auf den großen Auktionsseiten der Internetgemeinde kann man Devotionalien
erwerben, rare Reliquien, Zeitzeugen einer vergangenen Ära: Ein Konzertvertrag
zu 50 britischen Pfund, fertig gerahmt, zusammen mit einem Heiligenbild von
Rog, Nick, Rick und Dave. Ein Plakat aus Zeiten, als man sich zum Telefonieren
noch in alberne kleine Häuschen stellen mußte und die Zukunft der
Quadrofonie gehörte. Eine Eintrittskarte, für deren Preis man heute
höchstens das Kurorchester von Bad Pyrmont hören könnte.
Wie trefflich läßt sich dann streiten, ob es opportun ist, unter
einem Poster von Syd ITAOT zu hören, oder AMLOR oder allerhöchstens
WYWH, die Hymne auf denselben. Kryptische Bezeichnungen gehören zur Glaubensgemeinschaft,
wie Latein zur Eucharistiefeier. (Wer war noch nicht versucht, auf "Astronomy
Domine" mit "et cum spiritu tuo" zu antworten?). Der Kauf von
Ummagumma zeugt von musikalischer Reife und entspricht in etwa der Konfirmation.
Mit fortschreitendem Alter der Gottheiten und zunehmender Verjüngung der
Sektenmitglieder entstehen Legenden, Erzählungen, Lesungen, Predigten
alter, erfahrener Jünger, die die Abbey Road Studios in verklärtes
Licht rücken, von Puddingparties erzählen, von verlaufenden Dias
schwärmen und beim Gedanken an Scheinwerfertechnik der 70er Jahre verschleierte
Augen bekommen. (Was vielleicht auch Ursache der begleitenden Wirkung dieser,
dicken, selbstgedrehten Zigarette sein mag)
Kann man diese Andacht noch steigern?
Was sollte ein Wiederauferstehen dreier Frührentner bewirken, wenn nicht
Entzauberung, Ernüchterung und Verwirrung? Kann man jungen Menschen freundlich
lächelnde, grauhaarige Opas vorsetzen, wenn sie das ikonische Abbild langhaariger,
vom Dope halb weggetretener Studenten vor Augen hat? Müssen wir erst Schlagzeilen
über den plötzlichen Infarkt mehrerer Betablocker-Patienten lesen,
die sich immer noch für Live-Konzert-fähig halten?
Lassen wir Rick Wright in Ruhe auf seiner Yacht dümpeln, David Gilmour
mit alten Kumpeln herumklimpern und Nick Mason seine Oldtimer polieren.
Es ist vorbei.
Franziskus
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