1979 brachte die Gruppe Pink Floyd - zu diesem Zeitpunkt noch
vierköpfig - das Konzeptalbum "The Wall" heraus. Das Album
erstreckt sich über zwei LPs (später zwei CDs) und beinhaltet ein
kontinuierliches Musikstück über die psychische Welt des Musiker
"Pink", der sich nach einschneidenden Erlebnissen in sich selbst
zurückgezogen hat. Die Figur ist zum Teil stark an die Biographie
von Waters angelehnt, der auch für die Texte und den Großteil der
Musik verantwortlich zeichnet. Zahlreiche Geräusche erinnern ein
wenig an einen Soundtrack und Vieles wird dem Zuhörer erst klar,
nachdem er die spätere Aufführung oder den noch später folgenden
Film gesehen hat. Die Texte spiegeln die in der Zeit herumirrenden
Gedanken Pinks wider und sind nicht unbedingt auf einen kurzen Blick
verständlich.
Die Aufführung von "The Wall" als Tournee zu bezeichnen, wäre im
Rahmen dessen, was man von Pink Floyd gewohnt war, völlig
übertrieben. Tatsächlich gab es nur vier Orte weltweit, an denen das
Stück jeweils an mehreren Tagen aufgeführt wurde.
- New York, Nassau Colisseum
- Los Angeles, Sports Arena
- London, Earl's Court
- Dortmund, Westfalenhalle
Die Konzerte waren genial, aufwendig und verlustbringend. Und ein
unvergeßliches Erlebnis für diejenigen, die das Glück hatten, daran
teilzunehmen.
Quer über die Bühne wurde während der Vorstellung Stück für Stück
eine echte Mauer aus großen, weißen Blöcken errichtet, die 40 m
breit war und im Endausbau die Bühne völlig verdeckte. Der letzte
Stein wurde beim Song "Goodbye Cruel World" in die Lücke geschoben -
exakt in der Mitte des Werkes.
Die Musiker spielten in der Folge zum Teil hinter der Mauer, die nun
als riesige Leinwand diente, auf die mit drei Projektoren simultan
die bekannten Trickfilme von Gerald Scarfe geworfen wurden. Ein
komplettes Hotelzimmer mit Stehlampe und Fernseher klappt an einer
Stelle heraus und Roger Waters singt im Sessel davor sitzend;
riesige Marionetten in Gestalt des Lehrers oder der Mutter tanzen
vor der Mauer an Fäden und zum Schluß stürzt das riesige Gebilde in
sich zusammen.
Die Halle ist mit großen, von der Decke hängenden "Hammer"-Fahnen
ausstaffiert, es gibt Feuersäulen, abstürzende Flugzeuge, ein
Gitarrensolo von Gilmour ganz oben auf der Mauer. Insgesamt ist
dieses Spektakel kein "Konzert" im üblichen Sinne, sondern ein
monumentales Schauspiel, ein gigantisches Musical!
Ein abendfüllender Kinofilm unter der Regie von Alan Parker
erscheint 1982, in dem Bob Geldof die Rolle des Musikers ("Pink")
verkörpert, der sich allmählich hinter einer selbsterrichteten
(mentalen) Mauer zurückzieht, dort mit seinem Wahn zu kämpfen hat
und sich schließlich befreit.
Teils autobiographische Elemente von Roger Waters, vermischt mit der
Angst vor Machtphantasien über ein fanatisches Publikum und
Hitler-ähnlichem Charisma. Der Film erklärt viele Sequenzen und
Texte des Albums, die ohne die visuelle Begleitung keine Bedeutung
haben konnten.
Im Film gibt es [nahezu] keine Dialoge, sondern nur die aus dem
Album bekannte Musik und die Geräusche. Man darf keinen normalen
"Handlungsfilm" erwarten, sondern sieht in der "Gegenwart" des
Films, wie Pink in seinem Hotelzimmer vor dem TV sitzt und sich mit
Drogen (sichtbar: Joint) zudröhnt. Viele Geräusche und
Gesprächsfetzen des Albums stammen aus Bruchstücken der
Fernsehkanäle, durch die Pink zappt. Dabei lassen ihn Erinnerungen
in Träume der Vergangenheit driften, in denen wir seinen Vater im
Kriegseinsatz sehen, seine überfürsorgliche Mutter und frühe
Kindheitserlebnisse, seine Frau, Ängste, Alpträume...
Als wäre der Film nicht bereits surrealistisch genug, werden die
Realszenen mit Zeichentrickfilmen gemischt, deren Figuren man auf
der Innenseite des Plattencovers betrachten kann. "Zeichentrickfilm"
nicht im Sinne von Disney oder den Simpsons, sondern als bitterböse,
zum Teil zynische Weltansichten. Die gesamte Schlußszene, das
"Gericht" ist ein Trickfilm. Schöpfer der Szenen ist Gerald Scarfe,
der auch einen Namen als poltischer Karikaturist hat.
Roger Waters hatte sich mittlerweile von Pink Floyd getrennt. Nach
dem Mauerfall in Deutschland plant er einen symbolischen Auftritt an
historischer Stätte. Am 21. Juli 1990 führte er The Wall noch einmal
in Berlin auf, passenderweise auf dem Potsdamer Platz, wo früher die
"echte Mauer" stand. Anstelle der Floyd- Kollegen trat eine sehr
gemischte Truppe individueller Stars auf, wie Sinéad O´Connor, Bryan
Adams, Ute Lemper, Cyndi Lauper, Marianne Faithfull, Van Morrison,
die Scorpions u.v.a.
Die Show wurde live im TV übertragen, es gibt ein Live-Album und ein
Video/DVD davon. Die Effekte waren ähnlich denen der 80er Tournee,
vielleicht noch eine Stufe gigantischer, um der Zeit gerecht zu
werden. Musikalisch gab es einige Pannen, Sinéad O´Conner vergaß
ihren Text ("Mother"), andere Stimmen paßten nicht so recht zu den
Songs, aber für eine derart gemixte Truppe und vermutlich knappen
Proben war es recht ansehnlich. Die Meinung der Fans geht allerdings
in diesem Punkt stark auseinander....
Ich persönlich höre diese Version sehr gerne und empfehle sie auch
uneingeschränkt weiter.
Dieses im März 2000 erschienene Album enthält den nachbearbeiteten
Live-Mitschnitt der Pink Floyd Tournee 1980/81 (siehe [2]). Im
beigefügten Buch der Special-Ausgabe sind viele Fotos und technische
Anweisungen zur damaligen Show zu sehen.
Und
zu guter Letzt:
Die Bluegrass-Band Luther Wright & the Wrongs hat das gesamte
Wall-Album zu einer Country-Version umgeschrieben. Nein, natürlich
ist das keine ernstzunehmende Konkurrenz und humorlose Fans mögen
das Werk sogar blasphemisch finden. Aber wer darüber schmunzeln
kann, nichts dabei findet, daß statt des Hunschraubers eine
Motorsäge knattert und nicht sofort beim Klang eines Banjos
wegrennt, sollte seine Sammlung unbedingt komplettieren.
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Kurze Inhaltsübersicht
The Wall ist ein
umstrittenes Werk. Es ist mehr oder weniger eine Selbstdarstellung
von Roger Waters und war wegen der Egozentrik des Künstlers nicht
der geringste Anlaß, der zur Trennung der Band führte.
Auch die Thematik, die zum Teil harten "Bilder", die Vermischung
verschiedener Empfindungswelten führt schnell zur Polarisierung der
Fans. Entweder, man steht mit Abscheu davor oder empfindet es als
geniales Werk.
Um die Texte, den Inhalt zu verstehen, ist es fast unumgänglich, den
gleichnamigen Film gesehen zu haben. Nur so kann man die
Zusammenhänge erkennen, die Rätsel der Geräuschkulisse lösen und die
Gesamtaussage beurteilen.
The Wall war von Anfang an als Filmprojekt geplant. Man muß sich das
Album eher als den zugehörigen Soundtrack vorstellen. Die wenigen
Live-Shows mögen als Ersatz herhalten.
The Wall ist eine Mischung aus flammender Anti-Kriegs-Kampagne,
Aufarbeitung der Psychosen Roger Waters´, Philosophien über das
Band-Publikum-Verhältnis - alles Themen, die weitab vom tägliche
"Love"-Pop/Rock-Song liegen. Der Film ist faszinierend, aber schwer
verdaulich.
Die Geschichte zu "The Wall" ist nach und nach gewachsen.
Ursprünglicher Auslöser waren die Tourneen 1975 und 1977, die in
riesigen Stadien stattfanden, mit Fans, die zu einem Großteil nicht
an der früher so experimentellen, psychedelischen Musik interessiert
waren, sondern laut grölten, in Massen Bier konsumierten, Feuerwerke
abschossen und es den Floyds fast unmöglich machten, ihre Musik
vorzuführen. Roger Waters begann es zu hassen, vor solchen Massen zu
spielen, von denen man hauptsächlich die ersten paar Reihen sieht,
die sich nach vorn drängeln, schubsen, schreien etc. Er fühlt, wie
sich eine "Mauer" zwischen der Gruppe und ihren Fans aufbaut, wie
sich die Band immer mehr vom Publikum entfremdet, anstatt mit ihnen
zusammen zu "fühlen". Es gbt die legendäre Geschichte, wo es mit
Waters durchging und er einem nach vorn drängelnden Typ ins Gesicht
spuckte. So entstanden die ersten Gedanken zum Konzeptalbum.
mp3
660 KB
Soundbeispiel: Achtung! Dies ist kein Song
als mp3-Datei sondern ein kurzer Ausschnitt aus dem
Konzert vom 06. Juli 1977 im Olympic Stadium, Montreal,Quebec.
Zu Beginn von "Pigs on the Wing Part II" werden wieder
Feuerwerkskörper abgeschossen und Roger unterbricht den Song,
um lautstark und ...ähh.. mit klaren Worten eine Art
Standpauke zu halten. "Oh for fuck sake [...] I'm trying to
sing a song."
(Quelle: ROIO Azimuth Coordinator)
Schon in einem frühen Interview (1979 mit Tommy Vance) räumte Waters
ein, daß er nicht auf das Publikum schimpfen sollte und wollte. "Es
hat gefeiert und war eben gut drauf. Genauso soll es sein."
Das Problem seien diese riesigen Stadien und diese riesigen Stadien
würden benutzt, um möglichst viel Cash zu machen. Selbst schuld,
sozusagen.
In der Story dreht sich alles um die Person "Pink", eine fiktive
Gestalt, die aber eindeutig die Historie Roger Waters in sich trägt
und gleichzeitig Züge von Syd Barrett trägt wie auch als Synonym für
eine gefeierte Band dient.
Pink ist "ausgebrannt" vom ständigen Streß, Tourleben, Drogen und
sitzt bekifft in seinem Hotelzimmer, mehr in der imaginären, als in
der realen Welt verhaftet. Währenddessen tritt eine Ersatzband
("Surrogate"-Band) vor das wartende Publikum und entpuppt sich als
die negative Kraft einer massenbeeinflußenden Größe, vergleichbar -
und verglichen - mit den hypnotisierenden Großveranstaltungen der
Nazis.
Pink denkt über sein Leben nach... die Texte der ersten Hälfte sind
Rückblenden auf sein Leben, der Tod des Vaters in einem sinnlosen
Einsatz in Anzio/Italien bei der Verteidigung eines Brückenkopfes im
2.Weltkrieg, das Unverständnis des jungen Pink, der versucht, zu
begreifen, warum alle die glorreichen Soldaten so toll finden, die
sich Arme und Beine wegschießen und sich erschießen lassen, anstatt
ihre Kinder im Leben zu begleiten, die übertriebene Fürsorge der
Mutter, die im Bemühen, den Vater zu ersetzen, mehr erstickt, als
hilft, die Schule mit ihren sadistischen Lehrern - alles "Steine in
der Mauer", die allmählich um Pink wächst, und ihn vom realen Leben
ausschließt.
Groupies erleben einen dahindämmernden Pink, der plötzlich ausrastet
und sein Mobiliar zerstört, um anschließend völlig introvertiert zu
werden. Ein Arzt wird herbeigerufen, um ihn wieder zu Bewußtsein zu
bringen - hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen - die Band soll
auftreten, als sei nichts geschehen. Pink sieht sich als Diktator
auf der Bühne stehen, ein surrealistischer Hitler und schreckt vor
seiner eigenen Macht - und seinem zerstörten, gefesselten Geist
zurück.
In seinem Inneren spielt sich eine Gerichtsverhandlung ab - bizarr
auf dem Album - noch bizarrer als Cartoon Gerald Scarfe´s im Film -
und wird vom Richter verurteilt, seine schützende Mauer
niederzureißen und sich dem normalen Leben zu stellen.
Wer nur die "Schülerhymne" ' We don´t need no education' ( = Another
Brick in the Wall Part II) kennt, ist eventuell enttäuscht, oder
noch eher schockiert. Ich weiß nicht, was die Band oder die
Produzenten seinerzeit bewogen hat, ausgerechnet diesen Song
auszukoppeln, aber er ist wohl derjenige, der am wenigsten mit dem
Inhalt zu tun hat.
Bei dem alten Schwarz-Weiß-Film, der in vielen Szenen im
Hotelfernseher läuft und dessen Ton häufig in die Songs
hineinkopiert wurde, handelt es sich symbolträchtig um den
englischen Spielfilm "TheDambusters".
In diesem Film wird erzählt, wie die englische Luftwaffe eine
Bombe entwickelte, die wie ein Kieselstein schräg über das Wasser
hüpft, um dann eine Staumauer sprengen zu können.
Die Engländer setzten diese Bombe im zweiten Weltkrieg zur
Zerstörung der Möhne-Talsperre ein.
Bei allem Ernst des Themas, eventueller Betroffenheit und allen
philosophischen Interpretationsversuchen empfiehlt es sich, vor dem
Herabsinken in tiefe Depressionen über die Drangsale des Lebens
einmal in die Kommentarspur der DVD hineinzuhören, auf der Roger
Waters und Gerald Scarfe ungewohnt "launig" ihre Kommentare und
Erinnerungen zu dem Geschehen abgeben. Ganz so verbissen sollte man
das alles nicht sehen.
Bob Geldof selbst war übrigens überhaupt kein Pink Floyd Fan. In
einem jüngeren Interview erzählt Roger Waters von einem Gespräch,
das Geldof nach der Anfrage zu seiner Rolle mit seinem Manager
führte und bei dem die Jungs gar nicht so gut wegkamen. ("Pink
Floyd? So ein Scheiß!")